Keine Strafe für ehrliche Unternehmen bei umsatzsteuerlichen Abrechnungen – EuGH-Urteil C 935/19 vom 15.04.2021

Hintergrund der Entscheidung

Ein Steuerzahler erwarb eine Immobilie in Polen. In der notariellen Urkunde über den Erwerb dieser Immobilie wurde der fällige Preis als Bruttobetrag, also einschließlich Umsatzsteuer, angegeben. Der Verkäufer der Immobilie stellte außerdem eine Rechnung aus, in der der entsprechende Umsatzsteuerbetrag ausgewiesen wurde. Der Steuerzahler entrichtete diesen Betrag und ging davon aus, dass es sich um einen Vorsteuerbetrag handele, der daher abzugsfähig sei. Er reichte daraufhin eine Umsatzsteuererklärung ein, in der er einen Vorsteuerüberschuss auswies. Gleichzeitig wurde die Erstattung dieses Überschusses beantragt.

Im Rahmen einer Prüfung stellte die polnische Steuerbehörde fest, dass die Lieferung von Immobilien gemäß den polnischen Vorschriften grundsätzlich vollständig von der Umsatzsteuer befreit ist. Aus diesem Grund war der Steuerzahler nicht zum Abzug der aus der Transaktion entstandenen Vorsteuer berechtigt. Daraufhin berichtigte er seine Umsatzsteuererklärung unter Berücksichtigung der von der Steuerbehörde festgestellten Unrichtigkeiten. Infolgedessen wurde ein erheblich niedrigerer als der ursprünglich angemeldete Überschuss der Vorsteuer ausgewiesen.

Unabhängig davon erließ die polnische Steuerbehörde einen Bescheid, mit dem ein Vorsteuerüberschussbetrag in der Höhe festgesetzt wurde, die sich aus der berichtigten Umsatzsteuererklärung ergab, und verhängte gegen den Steuerzahler eine Sanktion i.H.v. 20 % dieses Betrags. Der Bescheid wurde in zweiter Instanz bestätigt. Der Steuerzahler erhob vor dem Wojewodschaftlichen Verwaltungsgericht Klage gegen die Entscheidung der Steuerbehörde zweiter Instanz.

Strafe

 

Vorlagefrage beim Europäischen Gerichtshof

Das Wojewodschaftliche Verwaltungsgericht hielt es für erforderlich festzustellen, ob die Verhängung einer solchen Sanktion in einer Situation, in der der Fehler der Gesellschaft zu keinem Verlust von Steuereinnahmen führt, mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Neutralität des europäischen Systems der Mehrwertsteuer vereinbar und im Hinblick auf die Ziele, eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehung zu vermeiden, gerechtfertigt ist.

Entscheidung im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens

Der Europäische Gerichtshof hob hervor, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, Maßnahmen zu erlassen, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehung zu vermeiden. Insbesondere können sie mangels einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften bei Nichtbeachtung der in der Unionsrechtsordnung für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts vorgesehenen Voraussetzungen Sanktionen wählen, die ihnen sachgerecht erscheinen.

Die Mitgliedstaaten sind jedoch verpflichtet, bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht und seine allgemeinen Grundsätze, also auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, zu beachten. Derartige Sanktionen dürfen also nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der Ziele erforderlich ist, die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Sanktion mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, sind u. a. die Art und die Schwere des Verstoßes, der mit dieser Sanktion geahndet werden soll, sowie die Methoden für die Bestimmung der Höhe dieser Sanktion zu berücksichtigen.

Somit wurde entschieden, dass die Vorschriften der europäischen Mehrwertsteuerrichtlinie und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit so auszulegen sind, dass sie der hier vorliegenden nationalen Regelung entgegenstehen. Danach darf man einem Steuerpflichtigen, der einen befreiten Umsatz zu Unrecht als einen dieser Steuer unterliegenden Umsatz eingestuft hat, keine derartige Sanktion auferlegen.

Gleichzeitig betonte der Europäische Gerichtshof, dass diese Regel Anwendung findet, wenn die Sanktionen Situationen betreffen, in denen sich die Unrichtigkeiten aus einem Beurteilungsfehler der am Umsatz beteiligten Parteien bezüglich ihrer Steuerbarkeit ergeben, unabhängig davon, ob Anhaltspunkte für Steuerhinterziehung bestehen bzw. ein Verlust von Steuereinnahmen eintritt, oder diese Umstände nicht vorliegen.

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